Noch einmal Richtung Osten
Während Georg mit der Fähre von Tallinn nach Rostock und von dort aus wieder nach Hause fährt, habe ich noch eine Woche Zeit und fahre zunächst mit dem Zug von Tallinn über Tartu nach Valga an die estnisch-lettische Grenze. Ohne Beschilderung ist der richtige Weg nach Lettland gar nicht so einfach zu finden.
Nach einem Zwischenstop in Smiltene ("Town of Three Hills") und einer Fahrt ohne nennenswerte Dörfer oder Städte frage ich in einem kleinen Weiler, ob ich hinter dem Haus mein Zelt aufschlagen kann. Man erlaubt es mir, doch kaum habe ich es aufgebaut, ruft man mich ins Haus. Hier teilt mir die Tochter der Familie in sehr gutem Englisch mit, dass die Familie heute nur zu Besuch war und früher in diesem Haus die Großmutter lebte. Da die Familie jetzt wieder nach Hause fahren muß, soll ich die Nacht im Haus verbringen. Sie übergeben mir den Haustürschlüssel, den ich morgens nach dem Verlassen des Hauses neben der Toilette deponieren soll...
Nach so viel Entgegenkommen - wohlbemerkt einem wildfremden Menschen gegenüber - bin ich am nächsten Morgen immer noch sprachlos, als ich parallel zur russischen Grenze in Richtung Madona weiter fahre.
In Cesvaine entdecke ich ein Jagdschloß, das eine Familie Wulf aus Deutschland im 18. Jahrhundert hat errichten lassen. Bei einer Führung zeigt man mir die Räumlichkeiten und als ich mehr beiläufig nach einem Übernachtungsquartier im Ort frage, bietet man mir gleich ein geräumiges Zimmer im Schloß an! Da das Zimmer zudem nicht teuer ist, bleibe ich sofort hier. Später stellt sich heraus, dass die Dusche nicht funktioniert und so gibt man mir, ohne das ich überhaupt gefragt habe, einen Teil des Übernachtungspreises wieder zurück.
Überall in Lettland begleiten Störche meinen Weg. Nur wenige Meter von der Straße entfernt gehen sie ungestört ihrer Futtersuche nach. Jékabpils ist der letzte größere Ort vor der Grenze nach Litauen. Nach einem Einkauf in einem Tante-Emma-Laden werde ich von einer Familie spontan zu Kaffee und Kuchen nach Hause eingeladen. Diesmal ist es eine russische Familie. In dem Gebiet, das ich jetzt durchfahre, wird fast nur russisch gesprochen. Die Tochter im Haus geht noch zur Schule und kann recht gut Englisch, was die Verständigung sehr erleichtert.
Nach dieser unerwarteten Stärkung fahre ich am Abend - erst gegen 23 Uhr kommt die Dämmerung - bis zu einem kleinen Bauernhof. In der Nähe des dortigen Storchennestes (Nachwuchs ist bereits vorhanden) kann ich mein Zelt aufschlagen. Obwohl die Bewohner kein Wort Englisch oder Deutsch verstehen und ich auch nur wenige Wörter Lettisch kann, bringen sie mir einen Teller mit Essen. Einfachste Küche - aber von Herzen kommend.
Flechten am Baum, Lettland |
Gesichtsausdruck einer alten Frau, Lettland |
Familie mit Hund vor ihrem Haus, Estland |
Autor: Hans Jürgen Stang | ||
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von Hans Jürgen Stang für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. |
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